Angeregt durch einen Messeplausch auf der Bremen Classic Motorshow hat mein Oldtimer-Freund eine Bestandsaufnahme zur Entwicklung des allgemeinen Oldtimer-Interesses geschrieben. Trotz voller Hallen, war uns beiden aufgefallen, dass der Nachwuchs sich stark ausdünnt (siehe auch das Titelbild der diesjährigen Messe). Nichts gegen die Ü50/Ü60-und Ü70-Generation der wir auch angehören, aber ohne Nachwuchs in der Szene sieht die Zukunft leider düster aus. Ich kann die Bestandsaufnahme von Marcus leider nur unterschreiben und wünsche mir, dass die tatsächliche Entwicklung diese nicht bestätigen wird. Es wäre wirklich schade, wenn diese wunderbare Leidenschaft zum reinen Kult weniger Sammler mutieren würde… aber lest selbst!


Gastbeitrag von Marcus Klippgen, Hamburg

Am 29.01.2019 erschien in der F.A.Z. Rubrik „Finanzen“ ein Artikel unter der Schlagzeile „Oldtimer-Anleger werden unruhig“.  In Sachen Oldtimer nun als „Anleger“ apostrophiert zu werden, werden die meisten Leser dieses Blogs indigniert zurückweisen. Doch ehrlicherweise sollte man zugeben, dass die  Wertsteigerungen der letzten Jahre zumindest ein gutes Alibi für die Anschaffung oder kostspielige Restauration manchen Klassikers waren – sei es als Rechtfertigung vor dem ums Haushaltsgeld fürchtenden Lebenspartner oder auch als Alibi vor sich selbst.

Auslöser des F.A.Z.-Beitrages sind die zunehmend strengen EU Emissionsvorschriften und aktuellen Einfahrverbote für Diesel „schlechter als Euro 6“ in Städten. Dass sich Umweltbewusstsein politisch seine Bahn bricht, belegen hierzulande u. a. die florierenden Stimmenanteile der GRÜNEN. Das lässt viele Oldtimerbesitzer fürchten, das Einfahrprivileg des H-Kennzeichens könnte eines Tages kippen. Was die Bewegungsfreiheit des Oldtimers und damit dessen Wert empfindlich beeinträchtigen würde. Bei Klassikern mit Dieselmotor liegt diese Befürchtung nahe. Dabei arbeiten frühere Diesel mit niedrigeren Einspritzdrücken, womit der Kraftstoff weniger fein zerstäubt und entsprechend weniger leistungseffizient verbrennt, aber auch der Ausstoß von Feinpartikeln und NO2 niedriger ausfällt. (Umgekehrt brauchen moderne „Hockdruckdiesel“ tatsächlich Partikelfilter und Denoxierung – möglichst durch „selective catalytic reduction“, vulgo „AdBlue“). Doch auch benzingetriebene, zumal „riechbar“ katalysatorlose  und entsprechend CO-intensive Klassiker scheinen angesichts der politischen Gemengelage vor dem Bannstrahl der Ökokalifen langfristig nicht sicher. 

So mag unter Enthusiasten eine unterschwellig zunehmende – wie die F.A.Z. schreibt – Angst vor Fahrverboten dazu beitragen, dass der Oldtimermarkt in letzter Zeit „zäher“ geworden ist. Aber es gibt noch weitere Erklärungen dafür, dass bereits 2018 die eine oder andere „Marktkorrektur“ zu verzeichnen war:

 

1. Überhitzung des Marktes

Spätestens 2015 begann der Oldtimermarkt zu überhitzen. Modelle wie der Ur-911, der E-Type Serie 1, Aston Martin DB4/5, BMW 507 und einschlägige Edelitaliener unterlagen einem irren Hype. Die Preise gingen durch die Decke, bis Glücksritter auch den letzten „Investor“ abgefrühstückt hatten. Was nach  solch einer Hausse irgendwann folgen musste, war Katerstimmung. Nicht anderes erlebten wir Ende 2018 an den Börsen. Dabei haben sich die volkswirtschaftlichen Rahmendaten nicht fundmental verschlechtert. Doch schon Ludwig Ehrhard stellte fest, dass Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie ist.

 

2. „Halten“ steht derzeit vor „Verkaufen“

Wer einen substanziell guten Klassiker hat, verkauft ihn im derzeitigen Szenario erst recht nicht. Das mag irrational sein, denn eine Erholung des Marktes ist nicht in Sicht. Doch der Enthusiast ist nicht bereit, sein Auto jetzt zu „verschleudern“. Sondern stirbt lieber mit ihm – so wie unsere Eltern mit ihren antiken Möbeln, die noch bis in die 70er Jahre als Signum gehobenen bürgerlichen Lebensstils galten. Heute will kaum noch jemand Antiquitäten haben. Aber unsere Eltern hatten ihre Freu(n)de damit. So hat alles seine Zeit. Es gibt ja auch keine „Playboys“ mehr. Correctness raffte sie dahin.

 

3. Keine autobiografischen Bezüge mehr

Die Generation der heute 18-40-Jährigen – also eine künftig beherrschende Gruppe – hat zu den oben genannten Ikonen der 50er bis frühen 70er Jahre keine autobiografischen Bezüge. „Ikonen“ sind für diese Gruppe eher Autos der 80er und 90er – etwa Audi quattro, Mercedes SL R107, BMW 8er E31, Porsche 993 oder Ferrari Testarossa. Aber das sind zunehmend kunststoff- und elektronikgefährdete Youngtimer, die daher langfristig weder problemlos zu warten sein werden, noch sind sie vergleichsweise „schön“. (Dass hier mancher entrüstet widersprechen wird, ist dem Autor klar). Jedenfalls werden diese Youngtimer – von Ausnahmen wie Ur-M3, 190 E „Sechszehnventiler“ oder Delta Integrale abgesehen – nie einen solchen Preishöhenflug erleben wie die Ikonen der 50er bis frühen 70er. Vorkriegsautos waren schon immer das Fachgebiet einer kleinen Elite. Doch diese Gruppe stirbt aus – schon weil heute kaum noch jemand mit einem nicht synchronisierten Getriebe oder der nicht unterstützten Lenkung eines PS-schweren Vorkriegsboliden klarkommt. Läuft man heute über eine Oldtimermesse, sieht man fast nur Männer mit grauen Haaren.  

 

4. Der Mythos des „freien Fahrens“ verebbt

Die Generation der heute 18-40-Jährigen hat den Mythos des „freien Fahrens“ nicht mehr erlebt. Anders als die Generation der heute Über-50-Jährigen, die Hamburg-München noch in 4 ½ Stunden schaffte, und die physisch mobil sein musste, um mit anderen „vernetzt“ zu sein, erlebt die junge Generation Autofahren im Alltag als immense Verkehrsdichte bis hin zum Stau, als ständiges Tempolimit und verzweifelte Parkplatzsuche. Das gilt insbesondere in Großstädten, wohin aber die Mehrheit der Jüngeren heute strebt. Dort machen bekanntlich immer weniger junge Leute ihren Führerschein. Denn für diese Generation bedeutet „Freiheit“ etwas ganz anderes: Das Internet. Es vernetzt, ist jederzeit und allerorten verfügbar, kennt global keine Grenzen und ist längst zum „Internet der Dinge“ geworden. Hier herrscht die „Freiheit“ von heute. Und genau diese wollen jüngere Menschen auch im Auto erleben. Marktstudien belegen, dass man dies selbst im (oder gerade weil) reglementierten China so empfindet. 

 

5. Deutschlands Volksseele durchleidet zurzeit eine Ernüchterung

Was 70 Jahre hindurch ein manifestes Quell des „Wir sind (wieder) wer“ und entsprechenden nationalen Stolzes war, machen EU, DUH und Konsorten in Rekordzeit zunichte: Die deutsche Autoindustrie. Noch ist zwar nicht ausgemacht, wie sich unser Premium-Markentrio im Zeitalter der Antriebselektrifizierung und Autonomen Fahrsteuerung schlagen wird. Auch ist der Wettlauf zwischen Batterie und Brennstoffzelle noch nicht entschieden. Doch schon jetzt ist absehbar, dass deutsche Autos vergleichbarer Sich entsprechend vom Mythos der hiesigen Autoindustrie zu entfernen, ist eine emotional legitime Schutzreaktion. Und diese wird unweigerlich auch auf die „Heritage“ dieses Mythos durchschlagen.  

 

Zusammengefasst:

Das 20. Jahrhundert träumte vom Auto, das 21. Jahrhundert vom Internet. Und man darf spekulieren, dass das 22. Jahrhundert vom Cyborg träumen wird. „Künstliche Intelligenz“ ist längst da und die Medizin schreitet voran. So hat alles seine Zeit – wie schon gesagt.

 

Was heißt das nun für Oldtimer-Enthusiasten? 

  • Wer angesichts seines fortgeschrittenen Alters seine Sammlung verkleinern und daher verkaufen will, handelt rational. Auch wenn manche (nicht alle!) Klassiker ihren „peak price“ inzwischen überschritten haben. 
  • Wer sich jung genug fühlt, sollte demnächst kaufen. Auch das ist rational, denn die „peak prices“ sind vielfach vorüber. Also carpe diem! Zumal Oldtimer sozial „vernetzen“ – und zwar auch ohne Internet.
  • Wer sich weder um das Auf und Ab des Marktes, noch um eventuelle künftige Fahrverbote schert, sollte behalten, was er hat. Das ist nicht rational, sondern weise. Denn so kann man seine Zeit erhalten. 

 

Diese Bestandsaufnahme kann sicher kontrovers diskutiert werden – ich freue mich auf eure Meinung!

 

 

Titelbild: Bremen Classic Motorshow 2019 – @Jan Rathke