Eine wahre Freude war es bereits für mich bei Facebook das Abenteuer Baltic Classic 2017 des Team 71 mit Lorenz Imhof und Adrian Biesler aus der Schweiz im Rover 3500S Baujahr 1974 zu verfolgen. Jetzt habe ich auch noch das Glück, dass Lorenz Imhof mir einen wirklich schönen Erlebnisbericht geschrieben hat:
Die Rally fand vom 28. Mai bis 10. Juni 2017 statt und ging von Copenhagen nach Berlin
Erfahrungsbericht Team 71: Woche 1
Adrian und ich beschlossen, ein neues Abenteuer in Angriff zu nehmen und haben uns mit einem Rover 3500S von 1974 zur erstmalig ausgetragenen Baltic Classic angemeldet. Wir haben noch nie an einer Rally von ERA (Endurance Rally Association) teilgenommen, die dafür bekannt sind, anspruchsvolle Veranstaltungen auf höchsten Niveau zu organisieren. So gehören Peking-Paris, The Flying Scotsman, Rally of the Incas oder Transamerica dazu.
Die Streckenführung versprach viel Interessantes und vor allem auch Neues für uns: Start in Kopenhagen, quer durch Schweden und Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen mit Ziel in Berlin.
Für uns bedeutete dies, mit Zugfahrzeug und Hänger von Basel (CH) zu Micha Heinrich nach Berlin, von da auf Achse via Rostock nach Kopenhagen, 4‘500 km Rally, von Berlin mit Zugfahrzeug und Hänger nach Hause zu fahren. Summa summarum 7‘000 km in 18 Tagen!
Aber nun der Reihe nach…
Das Classic-Team von Kestenholz rund um Hansi Schiess hat unser Roverli perfekt vorbereitet und in einer Nacht und Nebel-Aktion hinten noch mit Hi-Jackers ausgerüstet, weil die Standard-Federung der mitzunehmenden Last nicht gewachsen war. Schliesslich galt es, eine Menge Ersatzteile, Benzin, Reserveräder und auch Gepäck für 18 Tage mitzuschleppen. So konnten wir termingerecht am Mittwoch, 24. Mai nachmittags starten.
Am Freitag ging es dann auf Achse nach Rostock, wo wir die Fähre nach Dänemark nahmen, um dann gemütlich nach Kopenhagen zu fahren. Dort trafen wir auf unsere Freunde Roland und Helen Frey (auf Bentley Le Mans Tourer von 1928) sowie Urs und Denise Mezger (Triumph TR4 von 1962) und Nick Mezger mit Oriana Schoeni (Triumph TR4 von 1966). Am Samstag war Scruteneering – sprich Wagenabnahme – angesagt.
Dann am Sonntag, 28.05.2017 endlich Start!
Kopenhagen – Göteborg über die Öresund-Brücke, die mit 7845 Metern längste Schrägseilbrücke.
Täglich wurden zwischen 3 und 5 sogenannte Regularities (Gleichmässigkeitsprüfungen auf öffentlichen Strassen) und so oft wie möglich ein Test (auf abgesperrten Strecken, Maximalgeschwindigkeit) absolviert. Wir wussten nicht genau, ob wir am Ende des ersten Tages mit dem Platz 22 von 51 Nachkriegsfahrzeugen zufrieden sein sollten oder nicht. Schliesslich befanden wir uns inmitten altgedienter Rallyteams, sehr viele davon mit Erfahrungen und Autos von Peking-Paris und Ähnlichem.
Tag 2 – von Göteborg nach Karlstad
Jetzt mussten wir uns so langsam an Naturstrassen gewöhnen und dabei auch keine Zeit verlieren, sprich Tempi zu halten. Je nach Schotterart begann Roverli bereits bei 80 km/h aufzuschwimmen, andere Naturstrassen liessen auch Tempi bis 110 km/h problemlos zu. Auch nach Tag 2 konnten wir uns mit Platz 21 nur unwesentlich verändern und hatten immer noch beide Mezger-Teams vor uns platziert: Was für eine Motivation!
Tag 3 – von Karlstad nach Stockholm
War Tag 2 landschaftlich eher langweilig, brachte diese Strecke herrliche Hügeli mit gewundenen Strassen, die so richtig Fahrspass aufkommen liessen. Natürlich waren wir mit unserer Sänfte den Sportwagen von Aston Martin, Porsche, Datsun sowie den leichten MGs und Triumphs bei den Tests auf dem Papier klar unterlegen. Aber unser Rover gab alles und so kämpften wir uns ganz langsam und unauffällig nach vorne. Platz 20 nach 2 Tagen, Mezgers nur noch 3 resp. 2 Plätze vor uns.
Tag 4 war eine Art Ruhetag
Hier nutzten wir am späteren Nachmittag die Fähre nach Turku (Finnland). So verbrachten wir den Tag mit einen Stadtbummel und einem herrlichen Mittagessen gemeinsam mit Freys.
Tag 5 – einsame Strassen und die Wälder Finnlands nördlich nach Jyväskylä
Jyväskylä liegt geografisch auf der Höhe von Alaska, entsprechend sanken die Temperaturen und wir wurden am Hotel sogar noch von Schneeregen empfangen. Auch in Finnland fehlte es nicht an ausreichend „Gravel-Roads“. Die Tests wurden immer härter und zehrten natürlich am Material. Endsprechend hinterliess die ganze Sache langsam Spuren an unserem Rover P6. Irgendwann kommt der „Point of no return” und so beschlossen wir, nur noch Scheiben, Lampen und Kennzeichen zu reinigen.
Tag 6 – von Jyväskylä nach Helsinki
So langsam machte sich das harte Rannehmen dann Soundmässig bemerkbar. Zudem starb der Motor bei jedem Halt ab. Klarer Fall: Irgendein Auspuff-Problem. Die kompetenten Herren des mitfahrenden Pannendienstes stellten einen Anriss des Auspuffs am Verbindungsflansch fest. Über Schweissequipment verfügten sie allerdings nicht; die Notreparatur sollte aber eine Weiterfahrt auf Zeit ermöglichen. Nun hiess es: Jemanden finden, der uns den Auspuff schweissen kann! Und dies am Pfingstwochenende!
Unser Geschäftsführer-Kollege aus Finnland, Hans Martens, war dann Retter in der Not. Da er von Finnland aus auch Estland betreut, kontaktierte er seinen Vertriebsmann in Tallinn, welcher uns eine Auspuffreparatur-Firma ausfindig machte, die auch samstags bis 19 Uhr geöffnet war. Die Kommunikation erwies sich dann im ersten Moment jedoch als unüberwindbares Hindernis, sprachen die Leute dort nur estnisch oder russisch. Unsere liebe Freundin Dana – eine Tschechin unterwegs mit ihrem Mann auf Porsche 911 – sprach russisch und nach ein paar Querelen konnte auf Samstag um 16:30 Uhr – nach Ankunft der Fähre von Helsinki nach Tallinn – ein Termin vereinbart werden.
Die Homepage von SUMMUTIMEISTER sah ganz gut aus und so sind Adrian und ich guten Mutes die 15 Minuten vom Fährhafen dorthin gefahren. Um ehrlich zu sein: Alleine wäre ich gerade wieder umgekehrt. Hinterhofgarage wäre über allen Klee gelobt. Der Chef empfing uns persönlich und das Ersatzteillager war riesig. Nun ja, einen Schönheitspreis gewinnen wir mit der Reparatur nicht. Sie hat auch nur umgerechnet CHF 30.- gekostet. Sie boten uns an, den ganzen Auspuff zu ersetzen; 4 Stunden Arbeit inklusive Material für CHF 120.-. Leider hatten wir dazu keine Zeit! 😉
So ging die erste Woche versöhnlich zu Ende. Mit Platz 17 hatten wir Urs (Rang 22) überholt, Nick lag direkt vor uns.
Auf geht es in die zweite Woche
Frisch geschweisst – ähm motiviert – starteten wir in Woche zwei unserer Abenteuer-Rally. Weder Adrian noch ich waren je in den Baltischen Staaten und wir erhofften uns viele neue Einblicke über den östlichen Teil der EU. Der sich aber leider immer noch als Teil der damaligen UdSSR erwies. Urbanisierung, schlechte Infrastruktur, Landflucht und fehlende Investitionen lassen die Länder sehr ärmlich erscheinen. Natürlich war die Routenführung nicht nach Sightseeing-Kriterien ausgewählt; aber nirgends eine Kneipe, kein Laden, nur alte und kranke Menschen auf dem Lande.
Tag 8 – von Tallinn nach Riga
Estland wirkte relativ gepflegt, wie ein grosser Nationalpark. Die Strassen waren erträglich, die Gravel-Roads ordentlich unterhalten. Weit und breit keine anderen Strassen-Nutzer aber gepflegte Natur und auch Strassenränder. Der Naturstrassen gab es hier ausreichend. Mehr, als dass wir für die „Regularities“ benötigten.
Aber wie gesagt: Einsam, keine Menschen… Deshalb spielten auch die Staub-Fontänen, die wir hinter uns herzogen, keine Rolle. Wir hatten neue Durchschnitts-Tabellen erhalten; neu gingen die Schnitte bis 70 km/h hoch. Wohl gemerkt: Durchschnitt! Das bedeutete, dass wir auch an den Regularities zwischendurch recht ‚Gas‘ geben mussten.
Spass hat es allemal gemacht!
Naja, wir sind um einen Platz nach hinten gefallen… Ziemlich genau zwischen die beiden Mezger-Teams. Übrigens mussten wir unsere Autos in Riga ca. 10 Gehminuten vom Hotel in einer öffentlichen Parkgarage abstellen. Bei der Durchquerung des Stadtparks wurde ich dann von einem jungen Mann zurechtgewiesen, dass es nicht erlaubt sei, in einem öffentlichen Park zu rauchen!
Tag 9 – von Riga nachLiepaja
Die Landschaft wurde ungepflegter, die Strassen nicht unbedingt besser.
Aus dem „Gravel“ wurde mehr und mehr „Nature“!
Natürlich war hierbei das nicht gerade sensationelle Wetter mitverantwortlich. Zum Teil wurde es aber wirklich rutschig, so dass sich der eine oder andere Teilnehmer mal in einen Graben verirrte. Infrastruktur? :-O
Liepaja als Stadt mit rund 80‘000 Einwohnern zeigte uns, was wir in den kommenden Tagen zu erwarten haben: Etwas weniges Kulturhistorisches, viel Chrustschow und Breschnew.
Adrian hat mich auf dem Test mit der Knute angefeuert und so konnten wir uns an Tag 9 auf Platz 18 wiederfinden, weit vor Mezgers.
Tag 10 – von Liepaja nach Kaunas
Bereits der Grenzübergang nach Litauen versprach nicht den Übertritt ins Nirvana oder das gelobte Land!
Die Strassen waren anspruchsvoll und Gas geben war angesagt. Auch auf den „normalen“ Strassen wurde unser Roverli arg gefordert, gab es doch viele Bodenwellen und Schlaglöcher. Nur: Zeit zum Schonen lag nicht drin. Nun, wir kamen ja nicht zum Urlaub machen und genossen die Fahrt durch die menschenleeren Regionen nach Herzen. Die Tests forderten uns natürlich immer im Speziellen. Und wir nahmen die Herausforderungen an! Schliesslich galt es, Ferrari, Aston, Tiger etc. Paroli zu bieten!
So langsam trennte sich der Spreu vom Weizen: Tag 10 auf Platz 16.
Tag 11 – von Kaunas nach Mikolaikj
Wie es kommen musste, kreuzten wir bereits am Morgen auf einer Schotterstrasse einen LKW, der einen Stein auf uns abwarf. Natürlich in unsere Windschutzscheibe. Das Loch war nicht sehr gross, doch wir fürchteten um eine Ausweitung des Schadens. Wiederum bekam ich Hilfe dank unseres Lieferanten-Netzwerkes SEW-Eurodrive J. Stasek – Geschäftsführer SEW Polen – organisierte uns Norglas (das Pendant zu Carglass in Polen) abends ins Hotel. 2 Mitarbeiter arbeiteten 2 Stunden an der Scheibe
Nun, Auto gefahren sind wir auch ein wenig 😉
Wir waren ziemlich überrascht ab der bescheidenen Infrastruktur im Osten Polens, mit viel abgewirtschafteten Häusern.
Tag 11 endete für uns recht gut, konnten wir doch ein paar Mitstreiter hinter uns lassen: Platz 12! Diesen hielten wir übrigens bis Rally-Ende. Zu grosse Abstände nach vorne, ausreichend Luft nach hinten!
Tag 12 führte uns dann nach Paslek, an den Nordwestausläufern des Ostpreussischen Oberlands. Der Tag verlief unaufgeregt; mittlerweile hatte uns die Routine voll im Griff. Adrian funktionierte – genau wie Roverli – bestens.
Nur unser Equipment hatte mittlerweile doch ein paar Gebrauchsspuren und der Staub war nicht nur aussen. Dafür war die freie Essenswahl hervorragend und günstig!
Am Tag 13 dann auf nach Stettin (Szczecin), unserer vorletzten Etappe.
Hier endlich konnte man spüren, dass ein gewisser Wohlstand von der EU (sprich Deutschland) überschwappte. Fahrerisch wurde nochmals alles geboten, was das Herz begehrt!
Und dann der letzte und 14. Tag – von Stettin nach Berlin (160 km)
Kann nichts mehr passieren… Dachten wir auch! Der Tag begann mit einem Stadtkurs auf Kopfsteinpflaster mitten in Stettin. Tausende Besucher, Autos (auch defekte aus unserer Gruppe mit aufgerissener Ölwanne) standen am Strassenrand, Wettkampfstimmung pur. Adrian prügelte mich zu „Alles oder Nichts“! Rover überstand auch diese Herausforderung und so durften wir uns um 15:30 Uhr in Berlin vor dem Hotel Adlon als „Sieger über uns“ abwinken lassen!
Anstrengend war es auf jeden Fall. Für uns 18 Tage aus dem Koffer leben, jeden Abend eine andere Bleibe. Für Rover 4‘564 km härteste Rally.
Mit Bravour bestanden!
Vielen Dank lieber Lorenz für diesen schönen Bericht…und wir freuen uns hier bereits auf Dein nächstes Abenteuer 🙂
[affilinet_performance_ad size=300×50]
Ein toller Bericht der das Engagement der Teilnehmer, die Belastung des Fahrzeugs, den Anspruch der Rallye und natürlich die Schönheit der Strecke wunderbar wiederspiegelt.
…als hätte ich neben euch gesessen…
Klasse
Ein toller Bericht der das Engagement der Teilnehmer, die Belastung des Fahrzeugs, den Anspruch der Rallye und natürlich die Schönheit der Strecke wunderbar wiederspiegelt.
…als hätte ich neben euch gesessen…
Klasse