Gastbeitrag von Gert Pollmann, Oldenburg i.H.
Jahrgang 1952, Diplom-Designer FH Schwerpunkt automotive Design, Inhaber der G.Pollmann GmbH hat schon eine ganze Reihe von Design-Gemeinschaftsstudien der Zulieferindustrie seit 1987 im Rahmen der von ihm 1986 gegründeten Tagungsreihe “Mobile Ideen” erstellt.
Das Konzept der Umweltoberklasse
Technisch streng modular aufgebaut, ermöglicht das es den einfachen Austausch aller wichtigen Komponenten. So ist die Umweltoberklasse technisch “immer auf der Höhe der Zeit”. Ein anderes wichtiges Entwicklungsziel ist die stetige Gewichtsabnahme bis runter auf 1200 kg in einigen Jahren – die stetige Weiterentwicklung des autonomen Fahrens erlaubt nach und nach den Verzicht auf passive gewichtige Sicherheitseinrichtungen, denn das Auto der Zukunft “wird keinen Unfall mehr bauen”, künstliche Intelligenz wird es verhindern.
Der Vorschlag zum Antrieb für die nächsten Jahre: Die Umweltoberklasse fährt elektrisch; die Reichweite beträgt mit Rücksicht auf ein angestrebtes geringes Batteriegewicht 300 km. Wird bei einer längeren Fahrt der Range-Extender in den Bug des Fahrzeuges eingeschoben, sind aber 1200 km möglich…
Die Umweltoberklasse: Mit Ideen, die sich bald auch in der Mittel- und Kompaktwagenxklasse finden können…
Die automobile Oberklasse: darunter werden die großen Limousinen der führenden deutschen Premium-Marken verstanden. Diese werden groß, lang und schwer empfunden. Sie drücken durch ihr oft mächtiges Erscheinungsbild auf den ersten Blick nicht unbedingt großes Umweltbewusstsein aus – obwohl sie in den letzten Jahren einen erstaunlich geringen Treibstoffverbrauch aufweisen. High-Tech im Detail und sparsam-effiziente Dieselantriebe machen es möglich.
Oberklasse mit ausgeprägtem Umweltbewußtsein, geht das überhaupt? Und warum eine “Umweltoberklasse”?
Genau in dieser zunächst sehr gegensätzlich erscheinenden Zielsetzung liegt der Reiz des Konzeptes “Umweltoberklasse”. Die Fahrzeuge der automobilen Oberklasse sind teuer. Hier verdient die Autoindustrie das Geld, welches sie zur Entwicklung ganz neuer und notwendiger Techniken dringend benötigt. Diese neuen und zunächst meist teuren Features machen eine Oberklasse neben seinem Erscheinungsbild zusätzlich interessant – so gibt der Kunde für Innovationen gerade in diesem gehobenen Preissegment gerne sein Geld aus. Einmal in der Oberklasse zur Serienreife entwickelte Features können dann später “top-down” in die unteren Preisklassen Einzug halten – denn hier sind die Käufer wesentlich preisbewusster. Dies war bei ABS, Klimaanlagen, Navigationsgeräten, modernen Materialien und aktiven Fahrwerken so – um nur einige ganz wenige Beispiele zu nennen. So ist die Oberklasse letztendlich sogar für den Kleinwagen wichtig…
Welche Eckdaten soll so eine “Umweltoberklasse”, welche Charakteristics soll sie haben?
Egal, welches Antriebskonzept gewählt wird: Ein Leergewicht von idealerweise 1.200 kg und eine Gesamtlänge von 5,00m bei großzügigem Interior sind das Ziel. Aber der Gesamtauftritt der Umweltoberklasse darf darunter nicht leiden. Gute Proportionen, gestreckte Linien und eine tolle materielle Wertigkeit sowie zusätzliche neue technische Features müssen wirkungsvoll eingesetzt werden. Auch eine “stilistische Andersartigkeit” – vielleicht eine besondere Design-Schlichtheit – können dies unterstützen. Der Betrachter muss fühlen “dass in diesem Fahrzeug etwas Besonderes steckt”, es muss sich von den bekannten Mustern der automobilen Oberklasse abheben ohne diese als solche infrage zu stellen.
Aber: wie immer gehen Ideen ja “top-down”. Fast alle Ideen für Oberklassefahrzeuge finden sich in der nächsten automobilen Generation in der Mittel- oder Kompaktklasse wieder. Eine Klimaanlage in einem VW Käfer? 1965 undenkbar. Ein Kompaktklassefahrzeug ohne Klimaanlage heute? Ebenfalls undenkbar…aber die Oberklasse war der technische Wegbereiter.
Umweltoberklasse: Das Konzept
In der automobilen Vergangenheit haben sich viele Entwicklungen bewährt. Ziel ist es diese mit neuen Ideen zu kombinieren und zu einem zukunftsorientiertem besonders langlebigen Modul-Konzept weiterzuentwickeln.
Der Plattformgedanke
Die Umweltoberklasse besteht aus einer Plattform, auf welcher der komplette Aufbau in Form von “automotive Moduls” aufgesteckt wird. Dies ermöglicht dem Besitzer ein Modul durch ein neues und zeitgemäßeres zu ersetzen. Das kann beispielsweise eine ganz andere Antriebsart oder ein neues Armaturenbrett sein. Dieser Modultausch muss technisch sehr einfach umsetzbar sein und wird bei unserem Konzept “Umweltoberklasse” beim lokalen Autohändler “um die Ecke” vorgenommen.
Der Montagegedanke
Und überhaupt: der Händler übernimmt auch die komplette Erstmontage des Fahrzeuges. Ihm werden vom Automobilhersteller oder vom Zulieferer die kompletten einfach zu montierenden Module zugeschickt – so entfallen viele umweltbelastende Transportwege von Teilen zum Automobilhersteller und dann auch der aufwändige Transport des Gesamtfahrzeuges vom herkömmlichen Produktionsstandort hin zum Kunden. Einzelne Bauteile werden sogar wie bei einem Umzugskarton gefaltet geliefert, erst bei der Montage “werden sie aufgefaltet und groß”. Voraussetzung ist hierfür ein komplettes Umdenken im Grundaufbau eines Fahrzeuges. Die heutige komplex ineinander verwobene Konstruktionsarchitektur muss sich ganz und gar dem Modulgedanken unterwerfen. Einzelne Baugruppen müssen in Modulen wie zum Beispiel dem Armaturenbrett, dem Frontend, der Türe oder einem Kotflügelmodul komplett zugeordnet werden.Eine große technische Aufgabe.
Der Langzeitgedanke
Ziel ist es, dass die Plattform und wesentliche Teile des Fahrzeuges etwa 40 Jahre genutzt werden. Denn allein die Herstellung eines Fahrzeuges benötigt schon viel Energie, mit welcher man locker so etwa 100.000 Kilometer weit fahren könnte. Zu Beginn hat der Kunde die Umweltoberklasse vielleicht mit einem Verbrenner geordert. Nach einigen Jahren tauscht er diesen gegen einen E-Antrieb aus. Und in einigen weiteren Jahren vielleicht gegen ein Wasserstoffantrieb. Ober in einen Antrieb, den wir vielleicht heute noch gar nicht kennen. Das Modulkonzept muss aber so flexibel gestaltet sein, dass der hierfür ja schon sehr unterschiedliche Platzbedarf dieser variierenden Antriebsformen auch zur Verfügung steht. So benötigt beispielsweise ein moderner Verbrenner im Frontbereich sehr viel Platz, der E-Antrieb nicht – aber hier sind die voluminösen Batterien unterzubringen. Und beim Wasserstoffkonzept muss ein neues Frontend mit den benötigten großen Lufteinlässen ins Konzept passen. Dies kann nur gelingen, wenn der jeweiligen Antriebsform der technisch optimalste Platz in der Plattform zur Verfügung gestellt wird. Und der Stauraum ist halt dann da, wo noch Platz übriggeblieben ist.
Der Designgedanke
Ein Auto, welches in seiner Grundform 40 Jahre lang aktuell sein soll muss sehr ruhig und souveränlässig gestaltet sein. Ja, es muss die heute übliche stilistische Perfektion vielleicht ein Stück weit aufgeben um den kommenden Jahren keine zu große Design-Einengung zu bescheren. Flächen müssen ungestört bleiben – möglichst keine Sicken oder zu markante Verformungen werden eine wichtige Voraussetzung. Denn: legt man die Silhouetten der beeindruckenden Fahrzeuge der letzten 30 Jahre übereinander, so wird man feststellen, dass diese vom Prinzip her fast immer gleich geblieben sind. Lange Front, flache Windschutzscheibe, große Räder – das ist der stets gültige Basis-Styleguide.
Beste Materialien wie beispielsweise Edelstahl, langlebige Textilien, recyklierbare High-Tech-Kunststoffe und besonders wertige Lacke müssen dies intensiv unterstützen. Modische Elemente darf es nicht geben. Aber zeitgemäße Linienverläufe wie Sicken, Leisten oder additive Flächen können auf einen sehr flächig gestalteten Grundkörper wie bei einem Bild dreidimensional wirkend auflackiert werden – und bieten so die Möglichkeit auf den jeweiligen Zeitgeschmack sogar kundenindividuell einzugehen.
Ein wie von uns geplantes Oberklassefahrzeug muss im Innenraum räumliche Größe vermitteln. So müssen sich viele Bauteile von ihrer Dimensionierung her zurücknehmen. Die Türverkleidung kann flächig in der Türe verschwinden – erst dann, wenn beispielsweise der Handgriff benötigt wird, fährt dieser aus der Fläche heraus. Und die Sitze haben im Normalbetrieb keine oft räumlich beengende Kopfstützen – diese fahren erst auf Wunsch oder im Notfall aus der Decke heraus. Auch das Armaturenbrett und die Mittelkonsole ist mobil: nur bei Bedarf werden sie sich dem Fahrer oder den Passagieren nähern. Die Sonnenblende wird durch eine im oberen Bereich abdunkelbare Fläche ersetzt – mit einem mitwanderndem Sonnenblendpunkt. Und die Rundumsicht wird durch deutlich schlankere A- und B-Säulen im Zusammenwirken mit den eingefahrenen Kopfstützen wieder auf den Stand der 60er-Jahre zurückverbessert. Eine Umweltoberklasse ist natürlich sauber. Eine Bremsstaub- und Reifenabriebsabsaugung reduziert auch diese Feinstaubbelastung… Und wenn die Umweltoberklasse ohne Emission fährt, dann verschließen Rolladen für jedermann gut sichtbar die Abgasrohre.
Ein SUV wird vor allem wegen der bequemeren Einstiegsverhältnisse geschätzt. Die Umweltoberklasse ist aber etwa 20 Zentimeter tiefer – und hat trotzdem einen sehr bequemen Einstieg “convinient entry”. Das aus hochfestem Edelstahl gefertigte Chassis erlaubt, dass der sonst übliche seitliche Schweller im Türbereich fehlt, ja sogar ein Teil des Fahrzeugbodens “verschwindet”, um einen mit einem SUV vergleichbar bequemen Ein- und Ausstieg zu ermöglichen… Der Fondbereich kann durch Schmetterlingstüren besonders bequem erreicht werden, vor allem dann, wenn die Fondsitze oder die Fondsitzbank sehr weit nach hinten positioniert wurde.
Gute Luft im Innenraum wird nicht nur durch eine Klimaanlage erzeugt – manchmal wünschen sich die Passagieren auch “Luft von außen”. So hat die Umweltoberklasse zwei Schiebedächer. Das vordere schließt direkt an der oberen Scheibenwurzel der Frontscheibe an und ermöglich so ein “Cabriogefühl”, da die oftmals sehr breite sonst übliche Quertraverse aus Edelstahl extrem dünn gestaltet werden kann. Ja, sogar das Absenken der Windschutzscheibe auf die Fronthaube wäre für ein richtiges Offenfahrgefühl möglich, aus der Limousine würde dann ein Roadster.
Ein paar ganz praktische Gedanken, die der Nutzer sich schnell auch in anderen Fahrzeugklassen wünschen wird, sind in der Umweltoberklasse vorhanden: Ein Fach auf der kleinen Mittelkonsole “verschluckt” Alltagsutensilien wie Brillen, Hausschlüssel, Geldbeutel und ähnliches – und parkt es irgendwo im Fahrzeuginneren. Will man es wiederhaben: Ein Befehl und auf dem Display erscheinen alle Utensilien, man kanns dann anklicken und schon ist es wieder im Fach… Oder das seitliche Aktenfach – eine Schublade, von außen zugänglich, da passt gut eine Aktentasche rein. Und das HMI? Ist auf Wunsch so einfach wie möglich aufgebaut. Ein Knopf am Lenkrad gedrückt und die Umweltoberklasse nimmt Befehle sprachgesteuert an. Und wenn der Benutzer nicht laut reden will: das HMI kann auch Lippen-Lesen. So ist jeder in der Lage, das Auto sofort zu fahren, auch wenn er es gar nicht kennt.
Ein ganz besonderer Konzept-Schwerpunkt bleibt die Bedienung aber doch. Manch ein Kunde wünscht sich einen fahrenden Computer mit Touch-Screen-Bedienoberflächen, andere klassisch zu bedienende Menüs mit Schaltern und Knöpfen. Oder auch einen gekonnter Mix aus beiden Philosophien. Zum modularen Konzept der Umweltoberklasse gehört es, dass ganz unterschiedliche Armaturenbretter angeboten werden – so kann sich jeder Kunde seine “Lieblingsbedienung” aussuchen. Und noch etwas: jedes dieser HMIs kann in seiner Funktion durch einen “Intensometer” – ein einfacher Drehschalter – reduziert werden. Bis hin zu den ganz einfachen Basisfunktionen: Da kann der Kunde dann beispielsweise nur noch eine Temperatur für das ganze Fahrzeug auswählen. Fast wie in der Schule: die erste Klasse ist einfacher als die zweite – und so weiter. Man lernt einfach mit der Zeit sein Fahrzeug immer genauer kennen.
Der Vorschlag zum Antrieb
Der Antrieb der Zukunft – da gibt es ja reichlich Diskussionen. Die Umweltoberklasse will da für jedes Konzept offen sein – wie oben beschrieben. Eine “Basisidee für heute” könnte sein, dass sie grundsätzlich elektrisch angetrieben wird. So für den Alltag, mit einer Reichweite von etwa 400 Kilometern. Wenn es aber auf eine lange Reise geht, ist das aber nicht attraktiv – hierfür kann dann im Frontbereich zusätzlich ein Verbrenner-Range-Extender zeitweise mit wenig Aufwand montiert werden.
Nicht einfach. Aber 2024 soll diese Designstudie in seiner ersten Ausbaustufe fertiggestellt sein. Und: Falls jemand eine Anregung dazu hat – her damit!
Bildrechte: Gert Pollmann
Ein wirklich zukunftsorientierter Beitrag.
Ich drücke dem Gert die Daumen und bin sicher, dass die Autoindustrie Interesse zeigt.