Gastbeitrag von Marcus Klippgen, Hamburg

Schon immer versuchte man, die „Gesichter“ von Fahrzeugen der Physiognomie von Tieren zuzuordnen. Eins der berühmtesten Beispiele war der Rennferrari Typ 156 von 1961, dessen Front als „Sharknose“ in die Geschichte einging. Im damaligen 1,5 l-Reglement der Formel 1 war er der erste Ferrari mit Mittelmotor. In solch einem Wagen kam Wolfgang Graf Berghe von Trips leider schon im September 1961 in Monza ums Leben.

 

An einen Hai erinnerten auch die unter Bill Mitchell bei GM entstandenen Konzeptstudien „Mako Shark“, die zunächst in das Design der `63er Corvette C2 „Sting Ray“ (schon wieder ein Tiername) und später in das der `68er Corvette C3 mündeten.  Dies allerdings weniger wegen der Gesichter, sondern eher angesichts der an einen Hai erinnernden Gesamtlinienführungen dieser mit seitlichen Kiemen bewehrten Sportwagen.

Es gibt BMW Fans, die behaupten, dass auch das Gesicht der BMW Modelle, die in der Formentradition der 1961 vorgestellten „Neuen Klasse“ standen, etwas Haiartiges an sich hat. Zwar mag man dies den zugespitzten Nasen der von Paul Bracq geprägten BMW Modelle der 70er Jahre zumessen. Aber in München wurde nie von einer „Sharknose“ gesprochen, zumal sich eine derartig aggressive Assoziation auf dem Weg zur Premiummarke verboten hätte.

Vielmehr waren es eher italienische Mittelmotorsportwagen der späten 60er Jahre, deren flache Frontgestaltung an einen Hai erinnerte. So waren denn – wenn man so will – der von Marcello Ghandini (bei Bertone) designte Lamborghini Miura von 1966 und der von Giorgetto Giugiaro gezeichnete De Tomaso Mangusta von 1967 die ersten straßentauglichen „Sharknoses“:

   Lamborghini Miura (Bildschirmfoto)

De Tomaso Mangusta (Bildschirmfoto)

Solche flachen, breiten Haifischmäuler passten allerdings nur an neuzeitliche Mittelmotorwagen. Wenn wir naturgemäß mundlose Heckmotorsportwagen wie Porsche oder Renault Alpine einmal außen vor lassen, hatte bis dahin der Frontmotorsportwagen dominiert. Hier entwickelte man im Rennsport bereits in den 50er Jahren aerodynamisch optimierte Fronten, was relativ kleine „Mondfischmäuler“ zur Folge hatte. Beispiele sind rennsportliche Serienwagen wie Lotus Elite (unser Titelfoto), Elva Courier und natürlich der Jaguar D-Type. 

Jaguar E-Type Serie 1

Dessen Sayer’sches Fischmaul reüssierte 1961 erstmalig bei einem reinen Straßensportwagen – unten das laut Enzo Ferrari schönste Auto aller Zeiten und dessen italienische Adaption von 1962:

Ferrari 250 GTO (Modell)

An eine Limousine mit Frontmotor hätte dieses Gesicht allerdings nicht gepasst. Vergeblich hatte Jaguar versucht, die Front- und Heckmimik des E-Type auf seine künftige Limousine zu übertragen, die 1968 als „XJ“ debütieren sollte. Wie wir wissen, erbte der XJ vom E-Type lediglich den Hüftschwung und wurde mit seinen ansonsten eigenständigen Proportionen zum schönsten Viertürer aller Zeiten.

Jaguar XJ Mark 1 (Modell)

Es zeigte sich also, dass eine klassische Limousine einen klassischen Kühlergrill braucht. Und das gilt bis heute – jedenfalls solange nur vorne noch ein Verbrennungsmotor wirkt, welcher auf Kühlluft angewiesen ist. Allerdings musste dieser Kühlergrill nicht mehr so prominent wie bei Jaguar sein. Vor allem musste er nicht mehr so aufragen wie bei Mercedes, Bentley oder Rolls-Royce. So etablierte sich spätestens Ende der 60er Jahre jene integrierende Fronttopographie, die grundsätzlich bis heute Bestand hat.

Leitete man aus diesen Limousinen nun einen 2+2-sitzigen Gran Tourismo ab (oder umgekehrt wie im Falle Monteverdi), so sah das Ergebnis so aus:

 

Audi 100 Limousine

Audi 100 Coupé

BMW Limousine E3

BMW Coupé E9

Monteverdi 375/4 Limousine und Coupé (Bildschirmfotos)

 

BMW hatte hier den Vorteil seiner charakteristischen Doppelniere – und pflegt diese natürlich bis heute. Mercedes-Benz begann 1972 mit der S-Klasse W 116 (die mit den geriffelten Rückleuchten) seinen Traditionsgrill zu integrieren. Audi hatte solch ein Erkennungsmerkmal nicht und versucht mittlerweile seinen „Single Space Frame“ dagegenzusetzen. So sucht heute – in Zeiten aerodynamik- und paradox wettbewerbsgetriebener Uniformität – letztlich jeder Hersteller nach einem möglichst markenspezifischen Gesicht. Die dank dem Designer Peter Schreyer formal wesentlich attraktiver gewordene Marke Kia reklamiert heute beispielsweise ihren „Tigernose“ Kühlergrill. Im Streben um ein markenspezifisches Gesicht ging Jaguar so weit, seinem als Markenapologeten designierten Sportwagen F-Type nicht etwa das E-Type-Maul, sondern jenen Kühlergrill zu verpassen, der auch die Limousinen und unvermeidlichen SUVs des Hauses ziert. Aston Martin ist übrigens zurzeit dabei, sein klassisches Gesicht zu verlieren. Doch das freut immerhin die Kollegen von Ford, die den Astongrill seit 2017 eifrig weiterverwerten.

Aston Martin DB9 und Ford Fiesta Modelljahr 2017 (Bildschirmfotos)

 

 

Bilder in diesem Artikel: Privat und Bildschirmfotos

 

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