Gastbeitrag von Dietmar Finger, Automobil-Designer

Unterwegs im Saab V4

Ein Sommer bei und mit SAAB in Schweden!

Wundervolle Monate, an denen ich mitarbeiten darf am (letzten) SAAB 9/5, mit den Kollegen in Trollhättan. Wie OPEL gehört SAAB (noch) zu GM. Für die Zeit in Schweden fahre ich nicht notwendigerweise einen SAAB. Darauf legt mein Arbeitgeber keinen Wert. Ich fahre einen Leihwagen von AVIS. Irgendein Auto also, ohne die etwas skurrilen Anströmer, ohne „Nightpanel“, ohne die weit im Fahrzeug innen liegenden Schweller, die den Ein- und Ausstieg bequemer machen, ohne die kreativen Ideen, die SAAB immer, und früher noch vielmehr, ausgemacht haben.

Schweden mag ich sehr, schon seit meinen ersten Reisen dorthin. Auch dieser Sommer ist wunderbar. Die Kollegen sind nett, das Projekt interessant und ich kann mich mit der Marke identifizieren. Ich wohne in dieser Zeit im schönen Göteborg, kann an den Wochenenden Ausflüge machen und habe auch in der Freizeit Kontakt zu den Kollegen.

Irgendwann steht Urlaub an, den ich zu gerne auch in Schweden verbringen möchte. Doch für diese Zeit wird mir kein Auto zur Verfügung gestellt. Also muss für drei Wochen ein anderes Fahrzeug her. Die Idee mit einem AVIS-Auto „von der Stange“ Schweden zu erkunden gefällt mir allerdings gar nicht, schon weil ich mit meinem Sohn einen unvergesslichen Sommer verbringen möchte. Der „Kleine“ ist damals 14 Jahre alt, mag Autos, gerade die etwas „schrägen“ Vertreter, die nicht sofort gefallen, deren Charme man erst entdecken muss, aber insbesondere Musclecars mit dickem V8. Er kennt jeden GTO, Barracuda, Charger und Challenger. Also ist AVIS eindeutig keine Alternative.

Ein passendes Automobil muss her!
Die Idee mir ein hübsches, altes Auto zu kaufen, um mit diesem durch das Land zu touren gefällt Daniel Hansson sofort. Daniel ist einer der ALIAS-Modelleure, der, wie wir in einigen Wochen erfahren sollten, einen (unglaublich lauten) 73er Firebird fährt. Keine halbe Stunde nachdem ich ihm von dem Gedanken erzählt habe besucht er mich an meinem Arbeitsplatz, bringt 10 oder 12 automobile Angebote der Website blocket.se mit. Darunter z.B. ein Austin Mini, ein Volvo Amazon, ein Opel Rekord meines Baujahres und eben dieser charmante, beigefarbene, leicht schräge Saab V4, Bj. 1969, der mir nicht nur gleich sympathisch ist. Er steht aber ganz in der Nähe und wartet für ca.1.900,- Euro auf einen neuen Besitzer. Da ich ja gerade bei Saab arbeite fällt die Entscheidung leicht sich den Kandidaten kurz mal anzusehen.

Probefahrt im Saab V4
Wenige Abende darauf fahre ich den V4 gemeinsam mit Daniel zur Probe. Wir haben Spaß an dem alten Auto mit Lenkradschaltung, einem zuschaltbaren Freilauf und den schönen Klang des V4. Das schwedische Kennzeichen DGA 071 scheint wie ein Zeichen: „Dietmar Goes Abroad 2007 to buy the 1st car he sees…“ Beide grinsen wir über alle Backen und ich schlage ein. Im Herbst, am Ende des Assignments, kann ich den Wagen ja wieder verkaufen…

Als Nils vor unseren gemeinsamen Ferien schon einmal für ein langes Wochenende nach Schweden kommt, fahre ich mit ihm „einen Schweden mit einem hübschen Auto besuchen“. Wie erwartet gefällt ihm den V4 – zudem es sich um einen „halben V8“ (!) handelt, stolz präsentiert mit hübschen badges an den Kotflügeln.

Wenige Wochen später kann ich meinen Sohn mit dem V4 vom Flughafen Göteborg abholen. Dieser bekam zwar inzwischen eine neue Batterie spendiert, torkelt aber noch auf ausgelutschten Stoßdämpfern durch die Kurven und riecht noch immer sehr wie ein altes Auto. Nach einer umfangreichen Grundreinigung sieht der Wagen nicht nur hübscher aus, er riecht auch besser. Nun können wir uns sehen lassen beim wöchentlichen Oldtimertreffen an den Schleusen von Trollhättan. Nils ist stolz wie Oskar und immer wieder hingerissen von den krächzenden Geräuschen, die das analoge Radio zwischen den wenigen empfangenen Sendern von sich gibt. „So etwas kenne ich nur aus Filmen!“

Viel Arbeit am Saab V4

Mit unserem „alten Schweden“ besuchen wir das Saab Museum in Trollhättan, blubbern zum Baden an den Vännernsee, schlängeln uns durch mehrmals die herrliche Schärenlandschaft der Westküste. Aber die Highlights unserer Touren sind sicher die Stopps an herrlichen Schrottplätzen, die sich in Schweden tatsächlich noch finden. Einem Jungenparadies, wo wir immer wieder brauchbare Ersatzteile entdecken. Auf dem großen, zur Ferienzeit freien Parkplatz des Saab Werkes fährt Nils zum ersten Mal so richtig Auto.

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Über den Leiter des Saab Museums lernen wir zuerst einen deutschen Ruheständler und SAAB-Fan und durch ihn Bengt Eric Strom kennen, ein Mitglied des SAAB Rally/Werkstattteams, welches 1962 und ´63 die Rally Monte Carlo gewann und der noch immer V4 und V8 Motoren herrichtet oder frisiert. In seiner Werkstatt laufen tatsächlich Katzen und Hühner über die Werkbänke. Mit Hubert dürfen wir seine Hebebühne nutzen, um die Stoßdämpfer in unseren guten V4 auszutauschen.

Auch der tägliche Weg zur Arbeit wird zum Genuss
Auch der tägliche Weg zur Arbeit wird mit dem SAAB 69 zu einer kleinen Reise, gerade wenn man die schöne „alte 45“ westlich des „Göta Alv“, des Trollhättan Kanals anstelle der gut ausgebauten, geraden und neuen Strecke auf der anderen Seite fährt. Es ist einfach wunderbar frühmorgens auf kurvigen, wenig befahrenen Straßen vorbei an hübschen roten Gehöften durch die von Nebel geschwängerte Landschaft zur Arbeit zu tuckern. Beiderseits Wald, Wiesen und Felder, rechts ist hin und wieder der Kanal zu sehen. Die Tachonadel pendelt um die 80, während die Nadel der Tankanzeige in jeder Kurve überlegen muss wieviel Sprit wir noch haben.

Unterwegs mit diesem Auto hat man plötzlich Zeit, sieht durch die großen Glasflächen viel von der schönen Landschaft und erntet Lächeln und nette Kommentare von Passanten. Es scheint, als hätte jeder Schwede schon so einen V4 besessen. Nein, nicht jeder! Jeder Zweite, denn die andere Hälfte fuhr Volvo.

Ganz ohne Pflege und Aufmerksamkeit geht es natürlich nicht
Natürlich braucht der kleine Schwede neben ein wenig Aufmerksamkeit hin wieder etwas Bleiersatz. Auch Stau oder exzessiven Stop & Go Verkehr mag der kühle Schwede nicht, denn da wird ihm das Benzin in seinem mitten im V angeordneten Vergasers zu heiß. Auch die Standheizung haben wir noch nicht recht zum Heizen gebracht. Immer wieder verabschiedet sich eine Sicherung. Dafür erfreut der Kleine mit Features wie einem völlig glatten, nur vom Auspuff unterbrochenen Unterboden, einer umklappbaren Lehne der dritten Sitzreihe (mit den Füßen im Kofferraum kann man da tatsächlich liegen!) und der simpelsten Heckscheiben-Entfrostung ever: Von der ITA kommend strömt die warme Luft entlang des „aerodynamischen Himmels“ bis zur Heckscheibe. Mir wurde einmal gesagt, dass der Saab 96 das erste Auto mit einer Seitenscheiben-Entfrostung war. Die Federkern-Rücksitzbank und der Klang der einzigartige Hupe sind die Bringer, aber das Highlight ist sicher der Freilauf. Das Getriebe ausgeklinkt ist bergab nichts zu hören als das Windgeräusch und das Blubbern des V4. Das GM-Marketing versteht solche Features nicht, bei Porsche wird man das Jahre später „Segeln“ nennen….

Etwa 3000 Kilometer später gehen der Sommer und das Assignment bei SAAB zu Ende. Aber den Saab nun verkaufen? Gerade wegen all der Erinnerungen und natürlich wegen Nils, der sich (wie ich) in den Wagen verliebt hat, tue ich mich schwer mit diesem Gedanken. Da zudem nichts passender wäre, als einen Job bei SAAB in Schweden mit einem klassischen SAAB abzuschließen, lasse ich letztendlich den Heimflug verfallen (die Sekretärin weiß dies bis heute nicht) und fahre mit dem V4 über Dänemark und mit einer Übernachtung in einem hübschen Örtchen in Schleswig Holstein nach Hause. Selbst die hübsche Dame am Schalter des Fährterminals spricht mich noch auf das Auto an. Sie hatte ihren Führerschein in einem „wee fiera“ gemacht.

Neuanfang in der neuen Heimat
Bei SAAB in Frankfurt lasse ich das treue Autochen soweit herrichten, dass es ein H-Kennzeichen tragen darf und ein paar Jahre später schenke ich es meinem Sohn.

Er fährt mit dem Wagen zur Schule, tourt mit den Kumpels durch die Lande, zeigt seiner Freundin den Odenwald und das Rheingau und reist damit zu seinem Praktikum bei Kiska in Salzburg an. Zwei Mal nimmt er mit dem V4 an der Kiska Designers Rally „CROSSROADS“ teil. Inmitten der Porsches, Ferraris und McLarens sagt man ihm einmal, er würde das coolste Auto fahren. Was machen schon ein paar kleine Rostbläschen? Von unterwegs auf einer Rückfahrt von Österreich nach Frankfurt ruft er mich an. „Wir sind jetzt bei Würzburg und bald da!“. Auf meine Frage wen er denn mit „Wir“ meinte, sagt er „Na, der SAAB und ich!“ Im Jahr darauf fährt er mit ihm durch Südfrankreich und bezwingt nach diversen Alpenpässen die Haarnadelkurve und den Tunnel in Monaco. 

Die Entscheidung, den charmanten Schweden gekauft zu haben, habe ich nie bereut. Im Gegenteil, gibt er doch viel mehr zurück als er fordert. Es lässt uns Lächeln, verschafft unvergessliche Erlebnisse und führt zu Begegnungen mit netten Menschen. Man fühlt ihm an ob er sich wohl fühlt oder nicht und er entschleunigt. Welches moderne Auto tut das noch?! Und eines ist für Nils klar: Hergeben wird er den alten Schweden sicher nicht mehr!

Bildrechte: Dietmar Finger

 

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